Zorba the Buddha

 

By Nikos Kazantzakis by Karl Giggenbach

 

Wenn du von Iraklion direkt in den Süden fährst, die Hitze ist dir auf dem Flughafen entgegengeschlagen, das große kretische Mittelgebirge überquerst, die ersten heißen und einsamen Dörfer an der Straße siehst, dann die olivenbehainte Messaraebene überquerst, dann nochmal hochsteigst auf über 1200 Meter. Dann siehst du plötzlich das lybische Meer unter dir silbern glänzen. Die letzten verwaist aussehenden, weiß gekalkten Häuser, mit ihren blauen Fensterläden und überwuchernden Bougainvilleas bleiben hinter dir, schon seit 20 km fährst du nur noch auf einer Schotterpiste, der Staub wirbelt hinter deinem Leihwagen und plötzlich stehst du am Abgrund. Es ist eher eine Kurve und du steigst staunend aus und blickst hinunter. Unten, zwischen den Steinen und Felsen, aber direkt am Meer, siehst du ein kleines Dorf. Es schmiegt sich an einen Felsen, der wie ein Löwe ausschaut, es sind nur wenige Häuser, wenig Grün, dafür aber geschützt, ein paar Boote schaukeln. So sah ich denn Lendas 1998 Jahren das erste Mal.

 

Ich suche immer wieder Plätze, an denen ich meinen inneren Frieden finden kann. Und das geht besser an Plätzen, wo auch die Menschen, die dort Leben, einen gewissen Frieden, eine Würde und ein gefälliges und ruhiges Leben ausstrahlen. Seither bin ich also immer wieder dorthin gefahren. Zwar ist die Straße heute geteert, die Appartements haben sich etwas vermehrt, aber es ist immer noch ein Dorf, wo du mitten drin bist im kretischen Leben. Christina vom Dorfladen begrüßt dich, die paar Besitzer der Restaurants direkt am Meer erkennen dich wieder, du wirst sofort in die Küche geführt, so wie das früher in Kreta überall Sitte war. Dort köchelt auf dem Ofen in verschieden Töpfen, Priam, eine Art griechische Ratatouille, weiße oder grüne Bohnen, Zucchini, Auberginen. Stiffado, ein Kaninchen in Zwiebeln, Hühnchen, Moussaka und gelegentlich frische kleine Fische, so denn die Fischer noch was aus dem überfischten Meer fangen. Jeden Tag gibt es mal was anders. Das Olivenöl dazu ist aus eigener Produktion, das Lamm stammt vom Nachbarn. Der Wein von den Bergen von nebenan.

 

Im Laden versorgst du dich mit allem frischen was du brauchst, kretischem Honig, Joghurt, Feigen, Tomaten, Zwiebeln, und trägst es, wohin du lebst. Auf einem Balkon spielt ein Grieche klassische Gitarre. Die alten Minoer sitzen vor dem Haus und halten ein Schwätzchen. Dazwischen Touristen, die sich meist selbst auf den Weg gemacht haben und irgendwann Lendas gefunden haben. Pauschal gibt’s hier nicht, manchmal verschlägt es auch Menschen aus Rethymno mit ihrem Mietwagen hierher und sie staunen, dass es so was noch gibt.

 

Ich wohne seit Jahren bei dem kommunistischen, kretischen Olivenbauern und Ouzeribetreiber Babis. Mitten in der Ouzeri, mit großem Balkon, Veranda, Bougainvilleas, und direkt am Meer. Am Morgen ist die Kneipe still, manchmal trinkt Babis schon um 6 Uhr seinen griechischen Kaffee und ich sitze in einem Stuhl und höre bei geschlossen Augen die rauschende Lybische See.

 

Ich hatte wohl schon mal gehört, dass Nikos Kazantzakis 1907 für ein halbes Jahr in Lendas gewohnt hatte. Sonst wusste ich nicht viel von ihm. Diesmal kamen wir aus welchen Gründen auch immer auf Nikos Kazantzakis zu sprechen. Babis bekommt am Wochenende immer Besuch von Studenten aus Iraklion. Er liest mit ihnen dann das Kommunistische Manifest, das Kapital oder andere kommunistische Bücher. Sie hören ihm andächtig zu, sie diskutieren, er hat seine schwarze Baskenmütze auf, mit dem roten Stern vorn dran. Che’s Bilder hängen überall.

 

Diesmal sah ich, dass er ihnen aus Kazantzakis vorlas. Am Abend redeten wir bei Wein darüber und er gab mir ein Buch mit 33.333 Versen in Griechisch und Deutsch, es war die Odyssee, wie sie Kazantzakis sah und an der er sein Leben dran schrieb. Ich las ein paar Verse. Ein anderes Paar setzte sich dazu und dieses empfahl uns, das Museum von ihm anzuschauen.

 

Bisher kannte ich nur den Film Alexis Zorbas. Das Buch hatte ich nie gelesen, oder es war mir zu sperrig zum lesen, vor langer Zeit. Ich sah den Film 1976 das erste mal und seither immer wieder insgesamt 10 mal. Keinen anderen Film sah ich auch nur 3-mal und selten einen ein zweites Mal.

 

Und natürlich kannte ich die Geschichten von Osho. Zorbas the Buddha usw.

 

Am vorletzen Tag fuhren wir also einen kleinen Umweg nach Myrtia in den kretischen Bergen. Durch Dörfer, in denen die Männer noch alleine im Kaphenion sitzen, wo Frauen schwätzen vor der Tür ihrer Häuser, Esel tragen noch Lasten umher. Wir umfuhren vorsichtig eine Schafherde die vor 7 Lämmergeiern auf der Flucht waren. Olivenöl, Wein, Trockenheit, Stille, ein paar Hunde, Hitze, kaum Menschen auf der Straße. Der Pfarrer geht durch das Dorf. Immer weiter hinauf.

 

Dann das Museum. Wir hatten es ganz für uns selbst. Die Geschichte eines Mannes der sein ganzes Leben auf der Suche war. Der in 9 Ländern gelebt hatte, unzählige Bücher schrieb, sich mit Christentum, Buddhismus, der Wahrheit, Krieg, Heimat und Heimatlosigkeit auseinandersetzte. Seine Bücher wurden immer wieder kurz beschrieben, der Inhalt und die Hintergründe. Über Christus, Franz von Assisi, eben die Odyssee. Da sich vor mir selbst derzeit immer mehr die Fassungslosigkeit des Lebens vor mir auftut, weinte ich mehrmals, als ich sah, wie tief seine Suche ging und wie konsequent, auf allen verschiedenen Ebenen er diese Suche betrieb. Der Papst setzte ihn auf den Index, die orthodoxe Kirche wollte ihm die letzte in Ruhe in Kreta verwehren. Heute wird der Flughafen von Iraklion nach ihm benannt.

 

Ich musste diese Bücher lesen. Wir sprachen dann noch mit der Leiterin des Museums. Eine tiefe Liebe zu dem Schriftsteller, ein großer Stolz auf ihn, auf den Kreter, der fast nie dort gelebt hatte, aber fast alle Bücher handeln auf diesem Land. Ich sagte ihr, dass ich ihn jetzt lesen werde. Wir verdrückten beide die Tränen und sie meinte: „Dafür ist das Museum hier. Dass man ihn liest“.

 

Ich fuhr heim und las das erste Buch. Alexis Zorbas.

 

Es geht um die Freundschaft zweier Männer.

 

Zorbas, der Mazedonier und Minenexperte, ein Mann der lebt, das Leben genießt, die Frauen verehrt, trinkt, tanzt, die Santuri spielt, lacht, Gott fürchtet und verspottet. Ewig leben möchte und doch schon lebt, als er ob er morgen sterben würde. Wenn er etwas macht, hält er nichts zurück. Er macht es 100 %. Es gibt keine Zweifel für ihn. Keine Vorsicht. Keine Zurückhaltung. Er ist intelligent, aber er lässt sich nicht von seinem Kopf beherrschen, er schlägt alle Bedenken auf die Seite. Er liebt vorbehaltlos. Doch er verlässt die Frauen so schnell wie er sich in sie verliebt.

 

Kazantzakis, bzw. sein Alter Ego, der Grubenbesitzer und Schriftsteller, liest. Was mich erstaunt hat, und in dem Film nie zu Tage kam, ist, dass Kazantzakis in dem Buch mindestens 1/3 über Buddhismus und Buddha schreibt. Er taucht in die Psychologie des Buddhas, Philosophie, Religion, über den Tod, über die Fragen des Seins ein, woher wir kommen, wohin wir gehen. Er ist da genauso leidenschaftlich wie Zorbas. Als er sich in die schöne Witwe Irene Papas verliebt, stürzt er sich nicht hinein, er versucht seinen Körper zu zähmen durch Meditation, durch Besinnung, durch die Schriften. Sein Blut wallt, er jedoch strebt nach Ausgeglichenheit. Um diesen Kampf des Lebens geht es in dem Buch. Die Sinne, die Gier nach Leben, das Leben, welches gelebt werden muss, durch atmen, essen, Liebe, und Fortpflanzung, Krieg und Macht und all das, was das Leben bringt. Der andere Teil ist die Bewusstheit, die Gelassenheit, Mitgefühl, Rücksichtnahme. Geistige Sinngebung und Wahrnehmung seiner Selbst und Bewusstheit.

 

Hier in diesem Buch, in dem sie ein Braunkohlebergwerk bauen möchten, prallen diese Gegensätze immer wieder aufeinander und trotzdem lieben sie sich, respektieren sie sich, trotz aller Unglaublichkeit im Verhalten des anderen. Zorbas sagt zu ihm: „Wenn du an der Pforte des Himmels stehst gibt es nur eine einzige Sünde, die Gott dir nie vergeben wird. Wenn du weißt, dass eine Frau bereit liegt und dich aufnehmen will, und du verschmähst sie. Das wird er dir nie vergeben. In die Hölle wirst du fahren. Also sei ein Mann und geh los.“

 

Im Laufe des Verfahrens um den Kohlenabbau stellt Kazantzakis ihm seine künftigen Ideen über eine Gemeinschaft vor. Dass alle seine Arbeiter gleichberechtigt sein sollten. Es würde keinen Chef mehr geben.

 

Zorbas: „Sag mal, wie alt bist du eigentlich? Fünfunddreißig? Ja, du bist ja ein hoffnungsloser Fall. Du glaubst an den Menschen? Wenn ich an den Menschen glauben würde, dann würde ich an Gott glauben und sogar an den Teufel. Der Mensch ist ein Vieh. In deinem Leben hat ja immer alles geklappt. Du aber hast keine Ahnung. Ein Vieh ist der Mensch. Tust du ihm was böses, so respektiert er dich und zittert vor dir. Hast du ihm was Gutes getan, so betrügt er dich im nächsten Moment hinten rum und kratzt dir die Augen aus. Bewahre Abstand, sag ihnen nicht, dass sie gleich sind. Sie sind es nicht, sie haben nur fressen und saufen und hurerei im Sinn. Wenn du ihnen die gleichen Rechte gibst, so reißen sie dir dein Brot vom Mund.“

 

„Aber Zorbas, glaubst du denn, du wärst was besseres?“

 

„Nein, ich glaube nichts und an nichts und an niemand. Ich glaube nur an Zorbas. Nicht dass er besser wäre. Er ist genauso ein Vieh. Aber ihn kenne ich. Mit seinen Augen sehe ich, mit seinen Ohren höre ich, mit seinen Gedärmen verdaue ich. Wenn ich sterbe, stirbt alles. Die ganze sorbaische Welt versinkt im nichts.“

 

Und ich. Ich wollte mit Buddha fertig werden. Alle meine metaphysischen Sorgen in Wörter kleiden. Mich von meiner grundlosen Angst zu befreien und in einen nüchternen und warmen Kontakt mit den Menschen zu kommen. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.

 

Und später, als sie mit einem bäuerlichen Kreter am Tisch sitzen: „Ja und was meinst du, kannst du ihm beibringen. Dass seine katzbucklerische Frau mit ihm gleichberechtigt ist oder was. Nein, wenn du damit daherkommst, werden sie sich bald gegenseitig die Federn ausreißen wie Hahn und Henne. Keiner weiß dann mehr was oben und unten ist, was richtig und falsch.“

 

Er schwieg eine Weile und sagte dann: „Außer!“  „Was meinst du mit Außer?“ fragte Kazantzakis.

 

„Außer du könntest ihnen, falls du ihnen die Augen geöffnet hast, eine bessere Welt zeigen, als die finstere, in der sie jetzt ein halbwegs bequemes Leben führen. Kannst du das?“ fragte Zorbas.

 

Jetzt kommt die letzte Erkenntnis Kazantzakis in diesem Buch: Auf diese Frage vermochte ich nicht zu antworten. Ich wusste wohl, was niedergerissen werden muss, aber ich wusste nicht, wie man das neue auf den Trümmern aufbauen kann. Das weiß niemand, dachte ich. Die zukünftige Welt ist noch nicht geboren. Nicht zu greifen, nicht im Flusse. Sie besteht aus dem Stoff, aus dem die Träume entstehen. Sie ist eine Wolke, wie die Liebe, die Phantasie, der Zufall.“

 

Zu Zorbas sagte ich: „Ja ich kann‘s.“

 

„Nichts kannst du, nur Tinte trinken.“

 

Diesen Zorbas gab es wirklich. Beide waren ein ganzes Leben befreundet und sahen sich gelegentlich wieder.

 

Ich denke, dass Oshos Vision ja grundsächlich auf diesem Verständnis aufbaut. Lebe das Leben so reich wie es kommt, verdamme nichts, versäume nichts, sei mutig, gehe deinen Weg und nur so kannst du in die Stille kommen, in Meditation, du kannst die Gier nach Sex nur dann gehen lassen, wenn du diese auch lebst. Alles was du unterdrückst, kommt wieder hoch. Alles was du verleugnest wird dich wieder einholen. Du wirst die letzte Erkenntnis nicht erlangen, wenn du nur auf dem Himalaya hockst. Geh auf den Marktplatz, lass dich von den Frauen zum Wahnsinn treiben. Vermeide nichts. Sei wahrhaftig.

 

Dass diese Figur und diese Erkenntnis so komplett schon in Zorbas angelegt ist, hat mich am meisten erstaunt. Osho und Kazantzakis lebten im gleichen Geist, streben nach derselben Erkenntnis. Auf seiner Weltreise verbrachte Osho ein paar Wochen auf Kreta, der Heimat Kazantzakis. Es gibt hier von Osho wohl das einzige Bild mit Rotwein, es ist eines meiner Lieblingsbilder. Osho wurde auch von Kreta rausgeworfen, er vertrat genau das, was auch Kazantzakis vertrat. Die Kirche wollte auch verhindern, dass Kazantzakis in Iraklion begraben wird.

 

Tausende setzten sich für den Nobelpreisträger ein und ein Zug von 10-tausenden von Menschen setzte sich in Bewegung. Das Grab liegt jetzt auf einer Anhöhe auf der venezianischen Stadtmauer in Iraklion in der südlichen Martinengo-Bastion. Auf seinem Grab steht:

 

„Ich hoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.“